Schweige-Retreat zuhause - Erfahrungen und Empfehlungen

Mein letztes Schweige-Retreat lag schon ein Weilchen zurück, 2015 während meiner Ausbildung. Ein Wochenende Schweigen im Ashram mit der gesamten Ausbildungsgruppe, von Freitag Abend bis Sonntag Mittag.

Samstag 3 Stunden Meditation am Morgen, 90Min Yoga, dann Mittagspause, nochmal 2 Stunden meditieren und 90Min Yoga, eine weitere Meditation nach dem Abendessen. Sonntagmorgen nochmal das gleiche. Kein Wunder also, dass ich nur so dahingeschwebt bin.

 

Diese Erfahrung wollte ich unbedingt nochmal machen. Leider habe ich es seither nur noch zweimal in den Ashram geschafft, allerdings nicht zu Schweige-Seminaren.

Aber so schwer sollte es doch nicht sein, zuhause zu schweigen und in sich zu gehen. Denkste...

 

Es geht nicht darum, deiner täglichen Routine nachzugehen, dich von anderen zu labern zu lassen, aber selber nur zu gestikulieren.

Es geht um bewussten Rückzug, Innenschau, keine Ablenkung von außen, nur du und deine Gedanken.

 

Mit Yves habe ich definitiv den richtigen Partner an meiner Seite, um diese intensive Form der Praxis durchzuziehen. Trotzdem war es gestern für uns beide eine Herausforderung, da ihm an dem Tag natürlich alles andere als nach schweigen zumute war.

 

Aber der Reihe nach: Freitagabend begann mein Schweigen mit dem Gute Nacht-Kuss. Für mich war klar, bis Sonntag morgen gibt es kein Fernsehen, Radio, Handy oder sonstige Ablenkungen. Nur Yoga, Qi Gong, Meditation und Spaziergänge. Ich habe auch bewusst aufs Stricken und Häkeln verzichtet. Das kann zwar sehr meditativ und entspannend sein, es ist für mich aber auch eine Routine.

Und wenn ich nicht hören will, was in mir vorgeht, zähle ich halt Maschen. Also weg damit.

 

Samstagmorgen nach dem Aufstehen der gewohnte Blick aufs Handy. Mist. Eine Nachricht mit einem Herz beantworten, nochmal Mist, die anderen beiseite wischen. Weiter im Programm.

Ab vor den Altar. Pranayama (Atemübungen), eine Mantrameditation gefolgt von einer Übung aus dem stillen Qi Gong. Ein Blick auf die Uhr. Waaas? Grad mal ne Stunde rum? Wie soll ich das den ganzen Tag überstehen?

Ich muss dazu sagen, dass ich bei weitem nicht mehr so geübt bin, was lange Meditationen anbelangt, wie zu Zeiten meiner Ausbildung und es mir in letzter Zeit oft schwer fällt, meinen Verstand/Geist zur Ruhe zu bringen.

 

Ein Blick aufs Bücherregal. Vielleicht liest du halt doch was? Irgendwas spirituelles, erhellendes. Das kann ja nicht so schlimm sein. Vielleicht unterstützt es dich ja in deinem Prozess.

Ja, vielleicht hätte es mich unterstützt, und schlimm wäre es bestimmt nicht gewesen. Es hat mich ja schließlich keiner zum Schweigen gezwungen. Aber ganz so leicht wollte ich es meinem Verstand dann doch nicht machen.

 

Nach kurzem Überlegen habe ich etwas gemacht, was ich sonst nie mache: ich habe mich einfach nochmal ins Bett gelegt! Eine halbe Stunde nur da liegen, in meinen Körper spüren, meine rastlosen Gedanken beobachten...

 

Dann bin ich wieder aufgestanden, habe mir meinen üblichen Tee gemacht, mich wie immer in meinen Sessel gesetzt. Aber nicht wie immer: kein quakender Fernseher, kein automatisierter Handy-Check. Nur ich und mein Tee. Schluck für Schluck.

Und leider auch mein Geist... Was machen wir als nächstes? Du weißt, dass du das noch machen musst. Und das wolltest du auch noch erledigen. Und eigentlich könntest du ja auch deine Erfahrungen von heute teilen.

Oh, nein... bitte nicht dieser Gedanke... tolle Idee, aber muss das ausgerechnet jetzt sein? Ich habe diesen Beitrag über den Tag verteilt bestimmt 100mal im Kopf geschrieben. Ich hätte mir vermutlich Erleichterung verschaffen können, wenn ich mir wenigstens ein paar Stichpunkte notiert hätte. Aber ich bin hart geblieben. Es ist doch nur ein Tag!

 

Nach meinem Tee, habe ich meine Matte geschnappt und bin auf die Terrasse, um mein erstes Outdoor-Yoga in diesem Jahr zu machen, bei herrlichem Sonnenschein und Vogelgezwitscher. Dann ein entspanntes Frühstück in der Sonne.

Langsam wurde mein Verstand ruhiger.

 

Ganz spontan habe ich mich nochmal vor meinen Altar gesetzt und bin recht schnell in einen sehr schönen Zustand gekommen, in dem mir sogar eine Übung für mich und meine Schüler geschenkt wurde. Ich kann nicht sagen, wie lange ich da gesessen habe, da ich vorher nicht auf die Uhr geguckt habe und auch keinen Timer angemacht habe. Aber es war mit die schönste Erfahrung des Tages. So schön, dass ich mich einfach nochmal eine Stunde ins Bett gelegt habe, nur um dieses angenehme Gefühl zu genießen.

 

Danach haben wir unsere Sachen für einen kleinen Ausflug in die Natur gepackt.

Es war für Yves bis dahin echt nicht leicht mit mir. Er hatte großen Redebedarf und hätte ein paar liebevolle Worte seiner Partnerin gebrauchen können. So war es doch ein recht einseitiges Gespräch, das mir sogar schon zu viel an Kommunikation war. Ich wollte keine Fragen beantworten oder reagieren müssen, keine Nachrichten lesen und mit Gesten kommentieren.

Draußen konnte es nur besser werden...

 

Wir haben uns also ins Auto gesetzt und sind losgefahren. Kurz vorm Ziel sind wir an einem befreundeten Paar vorbeigefahren und haben kurz gehalten. Die drei unterhalten sich. Ich winke, nicke und lächle. In mir schreit es: sag, dass ich schweige! Sag, dass ich schweige! Die halten mich noch für bescheuert...

Endlich seine erlösenden Worte. Vollstes Verständnis. Wir fahren weiter. Auf dem Parkplatz treffen wir sie wieder.

Es ist schon komisch, Menschen, die man so gerne hat und so lange nicht gesehen hat, nicht zu umarmen. Und dann nicht mal zu sprechen, obwohl es 1.000 Dinge gäbe...

So blieben mir nur Luftküsse und eine respektvolle Verneigung. Aber damit war alles gesagt. Mehr als "es war so schön euch zu sehen, hoffentlich können wir uns bald wieder zusammensetzen" haben wir auch jetzt nicht geschrieben. Unsere Herzen haben sich alles gesagt. Diesen Genuss kann einem nur das Schweigen schenken, und sei es nur für einen kleinen Moment. Einfach mal innehalten.

 

Für Yves wurde es draußen tatsächlich leichter, mit meinem Schweigen umzugehen, da er außer der Natur nicht viel braucht. Wir haben beide die Stille genossen.

Selbst wenn Yves gesprochen hat, hat er nur in den seltensten Fällen eine Reaktion von mir erwartet.

So konnte ich die Erfahrung machen, dass mein Verstand beim Laufen voll aufdreht. Wenn ich stand oder gesessen habe, hat er sich aber schnell beruhigen lassen.

 

Zuhause haben wir dann noch gemütlich und sehr lecker zu Abend gegessen. Nach einer kurzen Meditation bin ich dann schlafen gegangen und habe erst heute morgen nach der Meditation bewusst mein Schweigen gebrochen, Nachrichten gelesen und beantwortet.

 

Es war nicht immer einfach, ich habe mehr kommuniziert als ich wollte, sogar draußen reflexartig mit einer Katze gesprochen, aber es war eine sehr schöne Erfahrung. Ich werde öfter bewusst schweigen, allerdings mit einer besseren Vorbereitung.

Und damit komme ich auch schon zu meinen Empfehlungen, wenn du das Schweigen zuhause auch mal ausprobieren möchtest.

 

Bereite dich und dein Umfeld gut vor.

Morgens aufstehen und einfach nicht mehr mit dem Partner reden? Der besten Freundin nicht mehr auf WhatsApp antworten? Nicht ans Telefon gehen, wenn die Mutter anruft? Du möchtest niemanden vor den Kopf stoßen und keiner soll sich Sorgen um dich machen.

Kommuniziere also im Vorfeld, von wann bis wann du schweigen möchtest, welche Interaktionen für dich ok sind.

 

Achte auf deine psychische Gesundheit

Selbst wenn du dich psychisch stabil glaubst, kann die bewusste Innenschau so einiges auslösen oder zu Tage fördern, womit du vielleicht nicht rechnest.

Sorge also dafür, dass du einen Ansprechpartner hast, der dich auffängt, falls es dir schlecht geht.

 

Geh es langsam an.

Wenn es dir nicht gut geht, du unsicher bist oder noch keinerlei Erfahrung hast, taste dich langsam heran. Lerne z.B. erstmal meditieren. Oder nimm dir vor, erstmal nur eine Stunde lang nichts im Außen zu machen, nichts von dem, was du sonst tust, womit du dich normalerweise ablenkst. Beobachte, wie es dir damit geht. Gib nicht gleich auf, aber brich ab, wenn es dir grade nicht gut tut. Versuch es zu einem anderen Zeitpunkt nochmal.

 

Stell mir gerne deine Fragen oder berichte mir von deinen Erfahrungen.

 

~Bettina